monkey.
VÖ AUT: 17.09.2010
VÖ GER/CH: 27.01.2011
MONCD072 (Jewelcase im Schuber)
Vertrieb: Hoanzl, Rough Trade
Kontakt: monkey.
Ginga sind tatsächlich diese gewisse Sorte Band. Die Sorte Band, bei der man nach dem ersten Anblick das Gefühl hat, dass nichts sie aufhalten kann, abgesehen von einem Flugzeugabsturz oder einem Wiener Blumentopf im freien Fall von einem Fenstersims im vierten Stock. Die Sorte Band, die einen an all die essentiellen Dinge erinnert, um die es bei wirklich großem Pop gehen sollte: Zum Beispiel die schiere Frechheit, eine Zeile wie “this goes out to every boy and girl” (aus “Fashion”) mit völlig unironischer Überzeugung zu singen. Oder das Talent, einen Song wie “Cinnamon” zu schreiben, der aus einem fernöstlichen Streicherintro in einem Melodie mündet, die nur so trieft vor brennenden Herzensqualen und der Aussicht auf Genugtuung. Oder die Fähigkeit, Leute, die noch nie ihre Musik gehört zu haben, zum Tanzen zu bringen. Oder den ungekünstelten, aber doch perfekt synchronisierten Look einer Gang von vier Jungs, zu der jedeR gern dazugehören würde. “We Are One,” wie eines ihrer mitreißend federnden Lieder glaubhaft behauptet: “We sing songs to stay awake!”
Alex Konrad, der beneidenswert gutaussehende Sänger mit seinem hintenrum auf kokette Mittachtziger-Art angestuften Lockenschopf, drischt derart rücksichtslos auf seine Gitarre ein, dass ihm scheinbar in jedem Song eine Saite reißt, bloß um uns am Ende des Gigs bei “In The Stagelights” mit einem völlig aus dem Blauen kommenden, berückend spärlichen Marc Ribot-artigen Solo auf dem falschen Fuß zu erwischen. Zu seiner Linken steuert der Brillenträger Klemens Wihlidal in weißem Hemd und Hosenträgern, gebaut wie Egon Schiele oder vielleicht wie Buddy Holly, eifrig ganz spezielle Quäntchen Keyboard, Gitarre, Melodica, Glockenspiel und Harmoniegesang bei und verströmt dabei die etwas konfuse Präsenz des Lieblings der denkenden Fans. Zu Konrads Rechter wiederum verkörpert Emanuel Donner (ja, die haben Namen...) perfekt die traditionelle Rolle des Süßen mit den Rehaugen, während er sich an Mikro, Violine (die auf dem Album mehrspurig orchestrale Breite annimmt), Gitarre und einer Reihe perkussiv bearbeiteter Gegegenstände hörbar macht, darunter eine Standtrommel und ein schwer misshandelter Notenständer, der mit jedem Gig erbarmungswürdiger aussieht. Matthias Loitsch, der ebenfalls singende Schlagzeuger, beobachtet einstweilen unter der Deckung seiner bubenhaften Stirnfransen kritisch das Treiben vor sich und sorgt indessen für reichlich Wumms mittels einer dezent auf Franz Ferdinand verweisenden, gegebenenfalls auf allen vier Vierteln einherstampfenden, New Wave-lastigen Funkiness, die auch vor gut dosierten Gimmicks nicht zurückscheut. Wie zum Beispiel das aus “Sunday Bloody Sunday” zitierende Snare-Drum-Rollen auf dem als Single vorausgeschickten Opener “This Is Happening”.
Diese Fertigkeit, mit textlichen Klischees und Referenzen zu spielen, sei es nun mit Absicht oder nicht (ein Schimmern der Waterboys hier, eine Dosis Modest Mouse da, vielleicht ein Stäubchen Radiohead), ist noch so eine jener unwiderstehlichen Pop-Qualitäten in Gingas Arsenal.Was immer noch die Frage offen lässt, wie es denn sein kann, dass wir den Bassisten noch nicht erwähnt haben. Sein Name ist James “Stel” Stelfox, und es könnte gut sein, dass Sie ihn schon wo gesehen haben. Er traf Ginga zum ersten Mal eines Nachts vor nicht allzu langer Zeit, als die Wiener für seine andere Band Starsailor bei einem Konzert in Brüssel die Vorband gaben. In der hierarchisch geordneten Welt des Pop kommt es nicht oft vor, dass ein Musiker den Support-Act so gut findet, dass er fragt, ob er mitspielen darf. Aber, wie wir schon zuvor festgestellt haben, Ginga sind eben diese gewisse Sorte Band. Oder wie Stel es ausdrückt: “I'm a fan.” Und so kam es zustande, dass vier junge Männer aus Wien, die ihr Album “They Should Have Told Us” in Belgien mit Mons Jegers aufgenommen und in London with Dan Rejmer gemischt haben (zu dessen vormaligen Arbeitgebern Nick Cave und die Foals zählen), sich in einer Band mit einem Working Class-Burschen aus Manchester wiederfanden.
Doch wie Stel bestätigen würde, ist noch eine jener essentiellen Pop-Qualitäten von Ginga der so grundsätzlich kosmopolitische, von geographischen oder sonstigen Grenzen gänzlich unbeeindruckte Charakter ihrer Musik. Das einzige, was Stel an seiner neuen Band ehrlich gesagt nicht so mag, ist ihr Name. Der klingt in den Ohren eines Nordengländers zu sehr nach “ginger”, dem auf allen Spielplätzen von Manchester und Umgebung gängigen Schmähwort für Rotschöpfe. Andererseits bezeichnet Ginga auch einen der wichtigsten Schritte der afro-brasilianischen, tänzerischen Kampfsportart Capoeira, im Volksmund eine populäre Bezeichnung für die magischen Bewegungen brasilianischer Fußballerbeine. Oder, laut Wikipedia zum Zeitpunkt des Schreibens dieser Band-Biographie, den Namen einer gewissen Wiener Band, deren Eintrag demnächst entfernt werden könnte, weil sie von den Administratoren als “non-notable” eingestuft wird.
Das, soviel wagen wir vorauszusagen, wird sich bald ändern. Von wegen “They Should Have Told Us”. Soll keiner sagen dürfen.
(Robert Rotifer, Juni 2010)
Zitate zu "They Should Have Told Us":
"Ziemlich heißer Scheiß aus Österreich" (laut.de)
"Warum sind die nicht länst Superstars? Gute Frage, denn die Indieband aus Wien zieht den Hörer vom ersten Ton an in ihren Bann." (m* Magazin)
"Ginga lassen den schleppenden Folk wiederaufleben, verbinden ihn mit melodiösem Gitarrenpop, mit Post Rock, Indie. Sehr vielfältig ist dieses Re-Debüt. Don't say 'They Should Have Told Me'." (RoteRaupe.de)